Haltung zeigen

Als die Sache mit „dem Gendern“ losging, war ich, wie viele andere, auch erstmal empört, warum die selbstverständliche Tatsache, dass wir Menschen unterschiedliche Geschlechter haben, nun ständig in den Vordergrund gerückt werden sollte. Durch das Gendern wurden Texte plötzlich holperig und schwerer lesbar, und ich verstand nicht, warum die Verfasserinnen (!) dieser Texte („Sowas können nur Frauen verzapfen!“) sich so krampfhaft darum bemühten, diesem neuen Anspruch gerecht zu werden.

Inzwischen denke ich etwas anders darüber. Und wenn ich dann von Volksinitiativen lese, die „das Gendern“ komplett verbieten lassen wollen, läuft es mir eiskalt den Rücken herunter: Verbote zu fordern für Dinge, die dem „Normalisierten“ und Althergebrachten im Weg stehen, erinnert mich an sehr düstere Zeiten unserer Geschichte.

Wozu überhaupt gendern?

Gendergerechte Sprache soll eine Sprache ablösen, bei der Personen nur in männliche Form dargestellt werden („der Lehrer“, „der Arzt“, „der Richter“). Was uns viele Jahrzehnte nicht weiter gestört hat, erinnert beim näheren Hinsehen aber daran, dass nur 2-3 Generationen vor uns, noch bis 1958, Frauen für ihre Berufstätigkeit oder auch den Führerschein die Erlaubnis ihrer Väter oder Ehemänner brauchten – und somit tatsächlich die meisten Berufe Männern vorbehalten blieben (und eine Frau sich dem Mann auch gesellschaftlich unterzuordnen hatte!)

Anders sah es da im östlichen Teil Deutschlands aus, wo in der Nachkriegszeit Frauen begehrte Arbeitskräfte waren und weibliche Berufstätigkeit, unabhängig von der Familiensituation, der Normalfall war.

Jahrzehntelang war unsere Sprache hier sehr ungenau – und, was leicht übersehen wird, auch irreführend.

Differenzierte Sprache führt zu differenziertem Denken

Das Grundproblem ist, dass wir alle „in Bildern denken“. Hochsensible etwas intensiver als andere – aber jeder und jede hat augenblicklich ein Bild vor seinem inneren Auge, wenn von einem „Arzt“, einer „Kindergärtnerin“ oder einem „Richter“ die Rede ist. Und je öfter wir etwas hören oder lesen, desto mehr „brennt es sich ein“. Wir wundern uns noch immer, wenn wir Handwerkerinnen sehen, und fragen uns, ob sie sich wohl auf Dauer „in einem Männerberuf“ wohlfühlen. Wir fragen im Baumarkt lieber den älteren Angestellten als seine junge Kollegin um Rat. Und Managerinnen fühlen sich noch immer Vorurteilen ausgesetzt, die ihre Kompetenz komplett außen vor lassen: wahlweise „Mit dem Aussehen hätte ich es auch nach oben geschafft!“ oder – auch nicht schmeichelhafter – „Die ist ja männlicher als ihre Kollegen!“

Je öfter wir nun von „Richterinnen“, „Polizistinnen“, „Professorinnen“ und „Chefchirurginnen“ lesen und hören, desto normaler wird es im Laufe der Zeit für uns. Aber für viele von uns – mich eingeschlossen! – ist der Weg noch weit.

Wertschätzung – und persönliche Ansprache

Oft ist tatsächlich ohne Gendern klar, wer oder was genau gemeint ist, z.B. dass auch Bürgerinnen beim Bürgertelefon anrufen dürfen. Aber Tatsache ist auch: Wir fühlen uns umso mehr angesprochen, je besser die Ansprache auf uns passt. Nicht umsonst sprechen Verkäufer uns am Telefon gern und mehrfach mit unserem Namen an, wenn sie uns etwas verkaufen und dafür in kurzer Zeit einen möglichst persönlichen, vertrauenbildenden Kontakt aufbauen wollen.

Inzwischen ist es kaum mehr denkbar, dass ein Bürgermeister in einer Ansprache nur seine „Bürger“, nicht aber die „Bürgerinnen“ begrüßt. Oder eine Arztpraxis nur von „Patienten“, nicht aber von „Patientinnen“ spricht. Das Differenzieren erzeugt beim Empfänger ein Gefühl von Wertschätzung, ein „sich gemeint fühlen“ und „sich angesprochen fühlen“ und kann somit verstärkend auf die Kommunikation und die Beziehung zum Kunden, Patienten oder Klienten wirken.

Gendern für Unternehmen und Organisationen

Ja, es stimmt, auch in meinen Texten ist explizites Gendern bisher eher die Ausnahme. Ich stelle aber fest, dass ich zunehmend Formulierungen verwende, bei denen die geschlechtsspezifische Anrede einfach vermieden wird. Das ist kein Patentrezept für alles. Sprache ist so vielfältig – und sehr mächtig. Vieles wird auf einer unterbewussten Ebene transportiert, und umso wichtiger wird es, neben dem „Was“ auch auf das „Wie“ einer Botschaft zu achten.

Niemand erwartet von einem Werbeflyer, dass er ein Musterbeispiel für perfektes Gendern ist und auch überall „das dritte Geschlecht“ (divers) mit einschließt, zumal wir im Deutschen (anders als in Schweden oder Finnland) bisher kein geschlechtsneutrales Personalpronomen neben „er“ und „sie“ haben.

Dennoch sehe ich einen bewussten Umgang mit gendergerechter Sprache – und sei es nur an einzelnen Stellen – als wertvolle Chance, eine offene und wertschätzende Haltung zu vermitteln und der Zielgruppe durch eine persönlichere und konkretere Ansprache mehr das Gefühl zu geben, „wirklich gemeint zu sein“.

Kritik: „Gendern diskriminiert!“

Gerade im internationalen Vergleich wird oft schon die Tatsache, dass in unserer deutschen Sprache und Kultur überhaupt zwischen einem Lehrer und einer Lehrerin unterschieden wird, als Diskriminierung empfunden. Im englischen Sprachraum (und vermutlich vielen anderen) gibt es diese Unterscheidung nicht: wer konkret nur ein Geschlecht innerhalb einer Berufsgruppe meint, fügt dieses als Attribut hinzu.

Ich persönlich kenne auch Situationen, wo ich es albern, unnötig oder sogar diskriminierend fand, darauf hingewiesen zu werden, dass ich ja „kein Webdesigner“ (!) bin, sondern „eine Webdesignerin“. Denn es schließt mich aus der einen Gruppe aus (der ich mich aber in dem Moment zugehörig empfinde), um mich einer anderen zuzuordnen. Ich kann deshalb nachvollziehen, wenn Menschen, v.a. wenn sie sozial und/oder beruflich eher international geprägt sind, eine Unterscheidung in männlich/weiblich grundsätzlich ablehnen und als trennend statt als einschließend empfinden.

Sprache erzeugt Assoziationen

Ich empfinde es aber so: Die Sprache, mit der wir aufwachsen, prägt uns – und unsere Wahrnehmung. Und weil die deutsche Sprache eine eigene Endung für die weibliche Form vorsieht, erzeugt die (männliche) Grundform eines Wortes eben (leider!) immer noch häufig die Assoziation einer männlichen Person. Und im Gegensatz zu bewusstem Denken laufen Assoziationen im Unterbewusstein und sind daher relativ hartnäckig und widerstandsfähig…

Und nun? Vielleicht findet sich zeitnah eine elegante Lösung, die sich besser in unsere Sprache einfügt als die bisher bekannten. Vielleicht sind wir auch in ein oder zwei Jahrzehnten schon so stark international geprägt, dass wir über unsere heutigen Gender-Bemühungen den Kopf schütteln.

Bis dahin jedenfalls liegt es bei jedem selbst, den für sich richtigen Weg zu finden – und der kann je nach Ort und Umfeld sehr unterschiedlich sein.

 

Hier noch ein Link zu einem Artikel der Landeszentrale für politische Bildung BW zum Thema „gendergerechte Sprache“: https://www.lpb-bw.de/gendern

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